Vorwort

Wir waren 2024 am feministischen Kampftag (auch Weltfrauentag) bei der Demo in Ulm dabei. Dort hatten wir das Privileg, die nachfolgende Rede über FLINTA*-Personen in der Care-Arbeit von Kindern miterleben zu dürfen. Weil wir sie inhaltlich aufgrund des durchgehenden Bezugs auf objektive Statistiken sehr wirkungsvoll fanden, veröffentlichen wir sie hier mit Erlaubnis der Urheber*innen Nadine S. und Till B. vom FLINTA*-Kollektiv. Die Markierung der statistischen Daten wurde durch uns vorgenommen.

Rede

Heute können wir auch einige Eltern begrüßen! Danke für euer Kommen! Es ist nicht selbstverständlich, dass sich Mütter, und andere weiblich sozialisierte Eltern, die Zeit nehmen können, an einem Freitagnachmittag auf eine Demo zu gehen. Allzu oft stehen die eigene Berufstätigkeit oder die Bedürfnisse von Kindern einem gesellschaftlichen Engagement entgegen. Warum sind es eigentlich so oft FLINTAs, die die unbezahlte Carearbeit übernehmen?

Da startet ein hetero Liebespaar, wir nennen sie mal Adam und Eva, mit den besten Vorsätzen in ein gemeinsames Leben. Sie wollen die Aufgaben im Haushalt zu gleichen Teilen übernehmen, sie haben vor, den zukünftigen gemeinsamen Kindern gleichviel Zeit und Pflege zukommen zu lassen. Sie ziehen zusammen, gründen einen gemeinsamen Haushalt. Doch schon in der Zeit ohne Kinder zeigt die Statistik: Eva leistet mehr Arbeit im gemeinsamen Haushalt als Adam.

Adam und Eva erwarten ein Kind. Sie stehen vor der Frage: Wie wird die Elternzeit aufgeteilt? Die guten Vorsätze bröckeln. Adam verdient ja mehr. Außerdem leidet sonst seine Karriere! Und überhaupt traut er sich das eigentlich gar nicht wirklich zu, alleine mit kleinem Kind. Eva kann das viel besser, Müttern ist das doch angeboren!

Mütter nehmen im Schnitt 14,6 Monate Elternzeit, bei den Vätern sind es nur 3,6. Die Hälfte aller Väter beantragt erst gar kein Elterngeld. Tatsächlich stellt die Geburt des ersten Kindes das einschneidende Ereignis in der Berufsbiographie der Mutter dar: Ab hier öffnet sich die Lücke im Einkommen sehr massiv. Am Ende des Erwerbslebens beträgt sie über 60%. Das sind dann eine Million Euro unterschied. Das größte Armutsrisiko für Frauen ist es heute immer noch, Mutter zu werden.

Immerhin, die Vätermonate nimmt Adam mit, nix verkomma lo, sagt d schwob! Ab in den Urlaub heißt es für viele Familien in dieser zeit. Adam lernt also kaum den fordernden Alltag allein mit Kind kennen. Anschließend geht er wieder voll in die Erwerbsarbeit. So verbringt Eva ab der Geburt viel mehr Zeit mit dem Kind als Adam. Klar bekommt sie Übung in der Sorgearbeit! Aber genau das wird ihr zum Verhängnis, meist in Form des schönes Satzes „Mach Du das lieber, Du kannst das viel besser.“ Auch ihr Kind lernt, dass Eva die verlässlichere Bezugsperson ist. Vom Papa lässt es sich nicht ins Bett bringen.

Die beiden sind sich irgendwann einig: Das Kind soll in die Krippe gehen, damit Eva ihren Beruf wieder aufnehmen kann. Sie haben Glück, sie bekommen einen Platz! Leider nur für sechs Stunden am Tag. Eva landet in der Teilzeitfalle. Wie 66% der erwerbstätigen Mütter, aber nur 7% der Väter!

Wenn Adam von der Erwerbsarbeit nach Hause kommt, ist Eva froh, wenn er mithilft bei Haushalt und Sorgearbeit. Die hat nämlich keinen Feierabend. Die ständige Bereitschaft zermürbt ebenso wie die Unsichtbarkeit der Carearbeit. Und überhaupt, warum spricht Eva so automatisch davon, dass Adam im Haushalt „mithilft“? Denn schließlich ist es sein Geschirr, seine dreckigen Socken und auch sein Kind. Weil sich schon längst eingeschlichen hat, dass der Haushalt Evas Aufgabe ist. Hat ja gut geklappt mit der gleichberechtigten Partnerschaft.

Laut statistischem Bundesamt leisten Mütter mit kleinen Kindern 80% mehr Sorgearbeit als Väter. Nicht berücksichtigt ist dabei, dass Mütter dabei zusätzlich häufig den gesamten Mental Load auf sich nehmen müssen. Mama hat alles im Kopf: Die Abholzeiten der Kita, den Kindergeburtstag nächste Woche, die aktuelle Schuhgröße, Impftermine, aktuelles Lieblingsessen, Geburtstagswünsche und so weiter.

Nach ein paar Jahren hat Adam die Karriereleiter erklommen. Eva hat es aus der Teilzeit im Beruf nicht mehr heraus geschafft. Sie hat die Schnauze voll! Eva will raus, aber mit welchem Geld? Ihr Gehalt reicht kaum für sie und ihr Kind und sie bemerkt wie abhängig sie von Adam ist. Trotzdem ziehen sie aus. Sie hat Glück: Adam zerschlägt nur das Porzellan von der Hochzeit und nicht Eva.

Eine durchschnittliche Ehe in Deutschland wird nach 15 Jahren wieder geschieden. Sind Kinder von der Scheidung betroffen, sind es auch hier die Frauen, die im Anschluss den größten Anteil an elterlicher Sorge übernehmen: In 82% aller ein-Eltern-Familien ist es die Mutter, die die Kinder versorgt, während die Hälfte der Väter den Unterhalt verweigert. Adam gehört dazu. Eva ist nun wie viele Alleinerziehende akut von Armut bedroht, obwohl sie überdurchschnittlich viel arbeitet.

Trotz der Scheidung und dem Ringen um den Unterhalt ist das Kind gut im Studium angekommen. Eva möchte im Beruf durchstarten und hat sich für eine Weiterbildung entschieden. Doch dann erleidet ihre Mutter einen Schlaganfall und wird von heute auf morgen ein Pflegefall. Ihr Vater kann die Pflege nicht übernehmen, weil seine Demenz schon zu fortgeschritten ist. Ihr Bruder ist leider im Job so eingespannt, dass er nicht übernehmen kann. Schweren Herzens sagt Eva die Weiterbildung ab.

Zwei Drittel der pflegenden Angehörigen sind weiblich. Als kleinen Ausgleich für die erbrachte Zeit können sie Pflegegeld erhalten – ein magerer Ersatz für das fehlende Einkommen aus Erwerbsarbeit, auf das die Frauen verzichten müssen. Und eine weitere Falle, denn das Pflegegeld kompensiert zum Teil das Netto-Einkommen – zahlt aber nicht in die Rente ein.

So sieht Eva bei Eintritt in die Regel-Altersrente der Armut entgegen: Ihre Rente reicht nicht zum Leben. Sie muss Sozialleistungen beantragen.

Die Rentenlücke zwischen Vätern und Müttern ist gravierend: 2022 bezogen in Deutschland Mütter 59% weniger Rente als Väter.

Das Grundgesetz garantiert die Gleichberechtigung von Männern und Frauen. Trotzdem hat das Patriarchat dazu geführt, dass Eva am Ende ihres Lebens zwar mehr gearbeitet hat, aber trotzdem in der Altersarmut gelandet ist. Wir finden das ungerecht!

Wir fordern, dass Erziehungszeiten bei der Berechnung der Renten stärker berücksichtigt werden! Wir fordern den Ausbau von bezahlbarer Kinderbetreuung und Ganztagesbetreuung an Schulen! Wir fordern eine Verpflichtung für Unternehmen, auch qualifizierten Arbeitskräften Arbeitsplätze in Teilzeit anzubieten. Am Wichtigsten aber: Wir fordern Politik und Gesellschaft auf, mehr dafür zu tun, dass Männer und insbesondere Väter endlich ihren Teil der Verantwortung in der Carearbeit übernehmen!

Ein Paar persönliche Worte noch zum Abschluss. Manche werden bestimmt denken, dass ich einfach eine nörgelnde Mutti bin. Nein, ich stehe hier für die Mütter, die so tief in der Sorgearbeit stecken, dass sie keine Ressourcen dafür haben hier zu sein.

Meine Erfahrungen mit Elternschaft sind ganz anders. Ich sehe jeden Tag, dass Väter für Sorgearbeit genau so geeignet sind wie Mütter. Wenn ich also davon erzähle wie gleichberechtigt die Elternschaft mit dem Vater meines Kindes ist, kommt oft die Anmerkung was für ein Glück ich doch habe. Doch ich finde es Falsch hier von Glück zu sprechen. Sowas darf keine Frage von Glück sein, sowas muss Normalität werden!